Führung durch den Herrenbach – Zusammenfassung

Dr. Gregor Nagler

Am Samstag, den 29.09.2018 fand eine architekturhistorische Führung durch den Stadtteil Herrenbach statt. Veranstalter war die Baum-Allianz Augsburg e.V., Vortragender der Augsburger Kunsthistoriker Dr. Gregor Nagler.

Das als etwas langweilig verschriene Viertel stellt eine der Stadterweiterungen der 50er Jahre dar. Zentrum ist der „Herrenbach“, eben jener nach den Ratsherren im Mittelalter benannte Kanal. Dr. Nagler betonte, dass in dieser Zeit durchaus Baumreihen zur Sicherung der Böschungen angelegt wurden, wie es heute noch in den Niederlanden und Frankreich praktiziert wird. Das sumpfige Gelände konnte so in einem flexiblen Rahmen stabilisiert werden.

Bis 1866 hatte Augsburg Festungscharakter, d. h. die Stadt konnte nicht über sich herauswachsen. Einzig die aufkommende Textilindustrie siedelte die Firmen und entsprechende Quartiere auf eigenes Risiko außerhalb der Mauern an. Die starke Wohnungsnot nach dem 1. Weltkrieg verbunden mit einem Anstieg der Geburtenrate führte 1927 unter dem Bürgermeister Josef Ackermann zur Gründung der WBG, der Wohnungsbaugesellschaft. Auf die Rüge des Freistaates Bayern hin, die Wohnbaulage in Augsburg sei zu „zersplittert“, wurde vom Stadtplaner Theodor Fischer der sog. „Fischer-Plan“ vorgelegt.

Fischer wollte die Wohnviertel wegen der Frischluft im Westen ansiedeln, die Industrie im Osten. Dass es dazu nur bedingt kam, hatte mit der Einrichtung der Kasernen in der NS-Zeit zu tun. Auch nach Kriegsende wurden die Flächen von den US-Amerikanern reserviert. Der Herrenbach bot sich als Ausweichquartier an.

Eine Idee des Fischer-Plans war ein Staffelbau, der zur Stadtmitte, der „Stadtkrone“, immer dichter und höher wird. Organisiert werden sollten die Stadtteile in „Nachbarschaften“ um eine Kernstadt herum. Nach der „Charta von Athen“, die in den 30er Jahren entwickelt worden ist, sollten die Städte funktionsgetrennt sein, also insofern „autogerecht“. Die Nachbarschaften sahen keine Korridorstraßen vor, sondern offene Anlagen abseits von den Hauptverkehrswegen mit Grünstreifen, so wie sie in der Heinestraße umgesetzt worden sind. Die „Stadtlandschaft“ orientierte sich dabei an der Topografie, hier eben am Kanal.

In den 50er Jahren interessierte man sich noch für den Bedarf und die Bedürfnisse der Bevölkerung. Es wurden Umfragen unter den Bürgern gemacht, wie sie sich ihr zukünftiges Wohnen vorstellten. Interessant ist ein kleiner Widerspruch zum Konzept der Bauhaus-Bewegung: Arbeiter wollten keine Kochküchen, sondern Wohnküchen. Außerdem bestand wohl gar kein Wunsch nach allzu groß- und vielräumigen Wohnungen. Im Herrenbach nahm man die Wohnbebauung zähneknirschend hin mit der Begründung, so sparten sich die Arbeiter zumindest die langen Pendelwege. Auch wurden die Wohnblöcke entgegen der ursprünglichen Planung etwas aufgestockt. Die große Grünfläche, die neben der Schule das neue Zentrum hätte darstellen können, wurde zugunsten der Kleingärten zur Selbstversorgung stark beschnitten. Immerhin sei die Kleingartenanlage öffentlich zugänglich, trösteten sich die Anwohner im Herrenbach.

Nach der NS-Zeit wollte man auf die damals praktizierte Achsenplanung verzichten, also wurde die Herrenbachstraße gebogen und am Kanalverlauf orientiert angelegt. Was auf den ersten Blick rein pragmatisch aussieht, ist eine differenzierte Architektur mit Hochhäusern, Mehrfamilienhäusern und Einfamilienhausreihen. Kein Bau sollte symmetrisch sein, auch plante man „von innen nach außen“, d. h. Fenster sollten dort eingefügt werden, wo sie auch gebraucht werden. Die damals bonbonbunte Pastellfärbung der Fassaden der 50er Jahre wurde in den letzten Jahren abgelöst von „Orgien in Orange“, nicht immer zur Freude der Anwohner.

In den 70er Jahren kam der Wandel für den Herrenbach. Die grüne „Stadtlandschaft“ war uninteressant geworden. Zeugnis für die Nachverdichtung ist das „Schwaben-Center“, das den bedeutendsten Bau von Thomas Wechs, die Don-Bosco-Kirche, entgegen der ursprünglichen Planung in den Schatten stellt. Don Bosco war einer der wenigen utopischen Bauten, die in Augsburg realisiert wurden. Wechs erschuf in seinem Roman die „Stadt Y“ (im Gegensatz zum wilden „Babylon“) nach dem Trabantenstadtschema. Zentrum sollte die Kirche sein, um Don Bosco herum eine Flachbebauung. In den 70er Jahren wurde jedoch mehr Urbanität erwünscht, der Fußgänger sollte Einkaufscenter und Arbeitsplätze schnell erreichen können, was einen elementaren Bruch in der Stadtplanung darstellt. Unbedingt besser wurde es dadurch nicht.

Was den Bürgern heute fehlt, ist ein begrünter Platz. Theoretisch könnte die Pflasterfläche vor Don Bosco als Ausgleichsfläche für die am Herrenbach gefällten Bäume darstellen, Dr. Nagler empfiehlt sogar eine Reihe aus Bäumen zur Abgrenzung vom Alten Heuweg. Der Platz ist allerdings zur Gänze denkmalgeschützt.

Im Nachgang wurde anhand der Neubebauung die aktuelle Tendenz, Sozialwohnungsriegel als Lärmschutz vor Einfamilienhäuser an die Straßen zu bauen, diskutiert.

Die Teilnehmer der Führung waren hochbegeistert von der exzellent vorgetragenen Wissensvermittlung durch Herrn Dr. Nagler. Man kann nie genug lernen, auch nicht über den Herrenbach. Yvonne Schlosser